Im Dorf Bhaduria im Bezirk Birganj treffen wir Absolventen des Ausbildungszentrums. Besonders beeindruckt mich Sabina Yasmin, eine 32-jährige Näherin. Als wir sie besuchen, schaut sie uns mit wachen Augen an. Ihr Blick ist freundlich, warm, aber auch fest.
Seit 2022 führt Sabina ihr Nähgeschäft mit großem Erfolg. Ihr Verdienst ist mit bis zu 18.000 Taka (ca. 130,- Euro) sehr hoch. Sie hat sogar zwei junge Frauen angestellt, Dipti (19) und Monjila (18), die je nach Arbeitsumfang bis zu 4.000 Taka im Monat verdienen.
Sabinas Kindheit war sehr schwer. Sie stammt aus einer bitterarmen Familie. Als sie zwei Jahre alt war, starb ihr Vater, die Armut wurde noch schlimmer.
Sabina besuchte die Schule nur bis zur fünften Klasse, denn schon mit 11 Jahren musste sie Geld verdienen. Auch so kam die Familie nur knapp über die Runden.
Als sie mit 18 Jahren heiratete, erhoffte sie sich ein besseres Leben. Zwei Jahre später brachte sie ihre Tochter Runa zur Welt. Doch dann trennte sich ihr Mann von ihr, ließ sie und die schwer erkrankte Runa im Stich. In dieser schweren Lebensphase erhielt Sabina die Chance, in unserem Ausbildungszentrum das Nähen zu lernen. Nach ihrem Abschluss ging sie nach Dhaka, um in einer Textilfabrik Geld für die Behandlung von Runa zu verdienen. Doch es stellte sich heraus, dass sie einen Hirntumor hatte. Diesen Kampf konnte die kleine Runa nicht gewinnen, sie starb. Sabina war sehr traurig und verzweifelt. So entschied sie sich, wieder ins Dorf zu ihrer Mutter zurückzukehren, um Ruhe zu finden. Dort eröffnete sie ihren Laden, den sie „Runa Tailors“ nannte. Die kleine Runa wird in ihrem Herzen immer weiterleben. Als wir fragen, ob ihre Nachbarn sie als Geschäftsfrau akzeptieren, lächelt sie.
Sie erzählt, dass hinter ihrem Rücken viel geredet wird. Doch dazu hat sie eine klare Meinung: „Wenn sie es mir nicht ins Gesicht sagen, warum soll es mich dann kümmern?“ Für mich ist Sabina ein Vorbild. Sie tut, was sie für richtig hält, und lässt sich von traditionellen Rollenbildern nicht beirren. Von Frauen wird erwartet, dass sie im Hintergrund bleiben und tun, was man ihnen sagt. Aber mit Gehorsam wäre Sabina nie so weit gekommen.
In Bangladesch gibt es viele starke Frauen wie Sabina, aber es gibt auch immer noch Millionen junge Frauen, die keine Möglichkeit haben, ihre Träume zu verwirklichen. Sie brauchen unsere Unterstützung. Wenn Bangladesch das Potential seiner Frauen stärker nutzen würde, könnte die Armut deutlich schneller und nachhaltiger überwunden werden. Ihr harter Lebensweg hat Sabina nicht gebrochen, sondern stärker gemacht.
„Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren.“